© Thomas Heinrich, 2020.
21 Jahre alt
Aus Aserbaidschan
Wohnort: Leipzig
Schulische Berufsausbildung
  Mein Name ist Tarchan. Ich bin mit meinen Eltern und Geschwistern vor 14 Jahren als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Damals war ich sieben Jahre alt. Es war Winter und sehr kalt, wir konnten die Sprache nicht, wir kannten Deutschland nicht - es war eine verwirrende, beängstigende und sehr schwierige Zeit. Wir waren zuerst in Westdeutschland, wurden dann nach Jena „transferiert“ und nach ungefähr zwei Monaten nach Altenburg geschickt. Mehrere Jahre lebten wir in einer Asylbewerberunterkunft. Von Altenburg zogen wir 2009 nach Leipzig um, wo wir seitdem wohnen. Ich hatte viele Jahre einen unsicheren Aufenthalt mit nur kurz befristeten Aufenthaltsgestattungen und Duldungen. Erfolgreiche Integration trotz großer Hürden. 2005 bin ich in die erste Klasse gekommen. Anfangs war es nicht leicht, aber es wurde einfacher – denn ich konnte zunehmend besser Deutsch sprechen. Ich hatte wenige, aber dafür echte Freunde. Als wir nach Leipzig umzogen war ich in der 5. Klasse und musste mitten im Jahr die Schule wechseln. Wegen meiner Seheinschränkung kam ich an die Wladimir-Filatow- Schule - einer Förderschule für sehbehinderte Kinder. Dort machte ich 2014 meinen Hauptschulabschluss. Eigentlich wollte ich gern den Realschulabschluss machen, aber das war damals nicht möglich. Danach absolvierte ich ein Berufsvorbereitungsjahr im SFZ Förderzentrum Chemnitz und begann 2015 dort die Ausbildung zum staatlich anerkannten Masseur/medizinischen Bademeister. Die Ausbildung macht mir Spaß. Die Ausbildungsinhalte sind sehr umfangreich. Eine Herausforderung war das Fachdeutsch und die Fachsprache - obwohl ich wirklich gut Deutsch spreche. Am Anfang habe ich nicht nachgefragt, wenn ich etwas nicht verstanden habe - das war ein Fehler, denn ich musste das erste Jahr wiederholen. Ab dem zweiten Halbjahr hatten wir mehr praktischen Unterricht und konnten unsere Kenntnisse bereits am Menschen anwenden, das gefiel mir gut. Ich besuche jetzt (im Schuljahr 2018/2019) noch ein halbes Jahr die Berufsschule und lerne intensiv an zwei Tagen die Theorie zur Vorbereitung auf die Prüfung in Chemnitz. Den Rest der Woche mache ich ein Praktikum in einer Physiotherapiepraxis in Leipzig. In der Berufsschulklasse waren wir nur zwei Ausländer und sonst alles Deutsche. Wir waren echt eine gute Klasse. Wir haben zusammengehalten, aber es gab auch Leute denen es nicht gefallen hat, dass Ausländer bessere Leistungen hatten. Unterstützung durch RESQUE 2.0. Ich wohne mit meinen Eltern und Geschwistern zusammen in einer Wohnung und hatte als Schüler vom Jobcenter Leistungen nach dem SGB II erhalten. Dann wurde mir wegen des Berufsvorbereitungsjahres und der Ausbildung mitgeteilt, dass ich keinen Anspruch mehr darauf habe. Auch mein Antrag auf Berufsausbildungbeihilfe wurde abgelehnt. Und das, obwohl ich pro Monat nur 104 Euro zur Teilhabe am Arbeitsleben von der Agentur für Arbeit erhielt. Meine Eltern und ich waren echt verzweifelt, fast hätte ich deshalb meine Ausbildung abbrechen müssen. Mir wurde dann empfohlen, mich an das Referat für Migration und Integration zu wenden. Frau Bran vom Projekt RESQUE 2.0 hat mich seit 2014 sehr viel unterstützt, um alle Anträge für die Klärung meines Lebensunterhaltes zu stellen. Sie hat mir auch bei anderen Behördenangelegenheiten und vielen weiteren Fragen im Zusammenhang mit der Ausbildung geholfen, ebenso wie die Mitarbeiterinnen vom SFZ Chemnitz. Darüber bin ich sehr froh und dankbar. Für die Zukunft. Ich möchte arbeiten und selber mein Geld verdienen. Ich kann mir vorstellen, nach dem Abschluss der Berufsausbildung auch in eine andere Stadt zu gehen und etwas Neues kennenzulernen. Ich wünsche mir die deutsche Staatsangehörigkeit beantragen zu können. Mein Antrag auf unbefristeten Aufenthalt wurde jedoch abgelehnt, da ich keinen Heimatpass habe. Und das, obwohl ich schon als kleines Kind nach Deutschland kam. Ich habe bei der Ausländerbehörde Widerspruch eingelegt, aber wie das Verfahren ausgeht wird ist ungewiss - und das finde ich belastend. Leipzig ist meine zweite Heimat geworden. Ich habe die Sprache gelernt, die Schule abgeschlossen, habe die Menschen hier richtig gut kennengelernt, bin hier aufgewachsen und fühle mich völlig integriert. Auch mit Aserbaidschan fühle ich mich verbunden und verfolge aufmerksam die Entwicklungen, die allerdings nicht gut sind. In Leipzig fühle ich mich wohl und wohne gern hier. In Chemnitz möchte ich nicht wohnen, weil dort Ausländer nicht willkommen sind. Wenn ich sehe und lese, was in Sachsen an Rassismus passiert, bin ich schockiert. Dagegen stehen aber meine vielen positiven Erfahrungen mit Menschen, die mich so akzeptieren, wie ich bin und die mich bei Fragen und Problemen immer unterstützen. Leipzig im November 2018.

TARCHAN